Am 18. November 2016 hat die Nachhaltigkeitsinitiative der Chemiebranche – Chemie³ (www.chemie3.de) – in Berlin ihr Nachhaltigkeits-Leitbild vorgestellt. Im Zentrum der Veranstaltung stand die Präsentation von insgesamt 40 Fortschrittsindikatoren, die die Nachhaltigkeitsanstrengungen der Branche in Zukunft transparenter und messbarer machen sollen. TT30-Mitglieder Hanna Treu und Friedemann Schreiter waren auf der Veranstaltung zu Gast und berichten hier von ihren Eindrücken.
Warum ist das Thema Nachhaltigkeit für die deutsche Chemieindustrie relevant?
Hanna: Der Chef des Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier, hat es heute klar und prägnant formuliert: die Frage, wie wir eine Welt begrenzter Ressourcen mit auf Wachstum angelegten Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen in Einklang bringen, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Und vielleicht ist es sogar die größte Aufgabe für unsere Generation. Auch die großen und kleinen Unternehmen der Chemiebranche müssen sich dieser Herausforderung stellen.
Wie ist die Initiative Chemie³ in diesem Zusammenhang einzuordnen?
Friedemann: Chemie³ ist ein freiwilliges Bündnis aus Unternehmen, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, die gemeinsam ein Nachhaltigkeits-Leitbild für die gesamte Branche entwickelt und dieses durch messbare Indikatoren konkretisiert haben. Sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Zu kurz kommt dabei aus meiner Sicht aber die internationale Dimension, vor allem in Bezug auf die Konsequenzen des Einsatzes gefährlicher Chemikalien in globalen Wertschöpfungsketten. Von den heute vorgestellten 40 Indikatoren steht nur einer im direkten Zusammenhang mit dem Thema Sozial- und Umweltstandards in der Lieferkette, und dabei liegt der Fokus auf den vorgelagerten Produktionsschritten („upstream“-Aktivitäten).
Kannst Du das an einem Beispiel verdeutlichen?
Friedemann: In der weltweiten Textilproduktion, die rund 1/5 der globalen Industrieabwässer verursacht, werden heute viele hochgiftige und gefährliche Chemikalien zum färben und veredeln eingesetzt. In Produktionsmärkten wie z.B. China gelangen diese gefährlichen Chemikalien oft ungeklärt in die Umwelt – zum Teil mit sehr negativen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Umwelt. Hier kann und sollte die deutsche Chemieindustrie in Zukunft, auch im Sinne des UN-Entwicklungsziels 12.4, eine aktivere Rolle übernehmen. Dieses Unterziel fordert, bis 2020 ein weltweit sozial- und umweltverträgliches Chemikalienmanagement bei Produktions- und Konsumptionsprozessen sicherzustellen.
Wie könnte das konkret aussehen?
Hanna: Das betrifft zum Beispiel Forschung und Entwicklung in Bezug auf marktfähige, weniger gefährliche Chemikalien und Substitute. Es erfordert aber auch, im Sinne einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht, sich noch stärker mit den Folgen und der Nutzung gefährlicher Chemikalien in globalen Wertschöpfungsketten auseinanderzusetzen. Es geht darum, sich mit dem gesamten Produktlebenszyklus auseinandersetzen, also auch mit dem, was in den nachgelagerten Produktionsschritten passiert („downstream“-Aktivitäten).
Geht das nicht über das Kerngeschäft vieler Unternehmen hinaus?
Friedemann: Systemische Probleme erfordern systemische Lösungen, das gilt auch für die Unternehmen der Initiative Chemie³. Bei der wichtigen Rolle, welche die chemische Industrie in globalen Wertschöpfungsketten spielt und der grenzüberschreitenden Komplexität der Probleme unserer Zeit, endet unternehmerische Verantwortung nicht an der Werksgrenze. Wenn Chemie³ in Zukunft diese internationale Dimension noch stärker berücksichtigt, dann hat das Bündnis aus meiner Sicht eine Chance, auch über Deutschland hinaus zu einem echten globalen Innovationstreiber für nachhaltige Entwicklung zu werden und einen signifikanten Beitrag zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDG) zu leisten.