„Am Ende verfolgen wir alle die gleichen Ziele – sie bedingen sich gegenseitig und zeigen, dass es sich nicht unbedingt um viele unabhängige Krisen handelt, sondern um einen gemeinsamen Kampf.“
– Dr. Parichehr Shamsrizi
Das neue Jahr ist angelaufen; der Rückzugsmodus vieler während der Feiertage weicht der Einsicht, dass die multiplen Krisen unserer Zeit keine Pause machen. Sie erfordern unsere Aufmerksamkeit, unsere Aktion. Dafür, dran zu bleiben, Zusammenhänge aufzuzeigen und mitzuwirken wirbt Dr. Parichehr Shamsrizi, Ärztin und Wissenschaftlerin am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und Fellow im ThinkTank30.
Mit ihr werfen wir einen Blick auf die Revolution im Iran.
Pari, Du begleitest und unterstützt die Revolution im Iran von Beginn an von Deutschland aus, bist auf verschiedenen Ebenen aktiv. Wie blickst Du auf die Situation?
Die Revolution ist weiterhin im vollen Gange und sie wirkt als leuchtendes Beispiel einer jungen, vor Allem von Frauen angeführten Bewegung. Unter dem Slogan „Woman, Life, Freedom“ demonstriert uns die Generation Z des Landes was Mut bedeutet, denn gleichzeitig bringen die Protestierenden schwere Opfer: Festnahmen, Vergewaltigungen, Folterungen, Hinrichtungen – darunter viele Kinder. All diese Dinge sind Jahrzehnte lang im Iran passiert, aber jetzt endlich sieht die Welt hin. Und es ist wichtig weiter hinzuschauen, denn es passiert Großes.
Wie meinst Du das?
Diese Revolution betrifft uns alle und das in verschiedenen Dimensionen. Ich möchte auf die Zusammenhänge hinweisen, um verständlich zu machen, warum es so wichtig ist mitzuwirken – auf welchem Wege auch immer.
Das Iranische Regime ist korrupt, frauen-/menschenrechtsverachtend und brutal; die Strukturen sind weder demokratisch noch in irgendeiner Weise reformierbar. Die überwiegend aus jungen Iraner*innen bestehende Zivilbevölkerung wünscht sich Demokratie, Gleichberechtigung und Freiheit. Sie kämpfen für universelle Menschenrechte und diese betreffen uns alle. Dabei geben sie trotz der vielen Risiken nicht auf: „Für jeden, den Ihr tötet, stehen Tausend weitere auf!“ – das tönt seit Wochen auf den Straßen im gesamten Land, von Shiraz bis Teheran. Die Revolution hat den Punkt, an dem es ein Zurück geben könnte, lange überschritten.
Zeitgleich agiert das Regime seit Jahrzehnten auch im Ausland als korrupter Terrorstaat, vor Allem in Form der Revolutionsgarde: Morde mitten in Berlin, Entführungen deutscher Staatsbürger*innen, antisemitische Anschläge, weltweite Korruption und Terror * . Aktuellstes Beispiel ist die Lieferung iranischer Drohnen an Russland, die im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Die Despoten dieser Welt agieren gemeinsam und das zeigt auch, warum uns die Vorgänge sehr direkt betreffen.
Währenddessen ist Deutschland weiter wichtigster europäischer Handelspartner des Regimes – eines Regimes, das sich nachweislich nicht an internationale Abkommen hält. Jegliches Festhalten an Verhandlungen und auch an wirtschaftlichem Handel stärkt lediglich die Machthaber. Diese Dinge sind nicht geheim. Sie sind belegt und finden schon lange statt. Die Frage ist, wie positionieren wir uns dazu und wie sinnvoll ist es, sich in Zukunft weiter auf solch einen Partner zu verlassen?
Ein weiterer Punkt ist besonders in Hinsicht auf die Werte des Club of Rome von Relevanz: Ein demokratischer Iran könnte bei Themen wie Energiesicherheit und Klimapolitik – sowohl in der Region als auch global – einen entscheidenden Durchbruch darstellen. Mit seinen zahlreichen Rohstoffvorkommen wäre solch ein freier Iran ein verlässlicherer Handelspartner als der Jetzige. Und wohl bedeutsamer noch: Die Bevölkerung kämpft für die Ermächtigung von Frauen, gegen Ungleichheit und Armut. Das sind Grundvoraussetzungen für eine klimagerechte Gesellschaft und damit für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.
Das Verständnis dafür, wie all die Themen zusammenhängen, halte ich für entscheidend. Am Ende verfolgen wir alle die gleichen Ziele – sie bedingen sich gegenseitig und zeigen, dass es sich nicht unbedingt um viele unabhängige Krisen handelt, sondern um einen gemeinsamen Kampf.
Einen demokratischen Iran können und möchten die Menschen vor Ort im Übrigen selbstständig errichten – sie haben die Ressourcen dafür. Dafür müssen wir ihnen bei dieser Revolution beistehen.
Vielleicht ergeht es anderen wie mir: Man schaut hin und fühlt sich berührt, aber auch überfordert. Deine Aufzählungen zeigen die Relevanz der Ereignisse. Was können wir denn konkret tun, um wirkungsvoll zu helfen?
Wir – jede*r von uns – kann helfen und das auf unterschiedlichen Wegen:
1. Aufmerksamkeit rettet leben; sei es auf Social Media oder im persönlichen Kontakt. Jeder Post, jede Solidaritätsbekundung hilft. Wir können Personen anschreiben, die eine große Reichweite haben und auf die Thematik aufmerksam machen. Hilfreich ist auch das Kontaktieren von Politiker*innen, um auf die Möglichkeit von politischen Patenschaften hinzuweisen, damit diese Aufmerksamkeit für zum Tode verurteilte Menschen schaffen können – von jungen Schulmädchen bis hin zum Gesundheitspersonal, das hingerichtet wird, weil sie Demonstrierenden helfen. Wir können Journalist*innen, Politikwissenschaftler*innen und Aktivist*innen auf verschiedenen Kanälen folgen, um informiert zu bleiben, auch über die genannten Hintergründe, Zusammenhänge und weitere Hilfsmöglichkeiten. Empfehlungen hier sind unter anderem Düzen Tekkal, Ali Fatholla-Nejad, Gilda Sahebi, Natalie Amiri (Buchempfehlung: „Zwischen den Welten“).
2. Petitionen, Briefe an Abgeordnete, politischer Druck – Entscheidend ist hier vor Allem die Forderung, die Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen und nicht weiter aktiv ein Regime zu stützen, das die Jugend des eigenen Landes umbringt und sich nicht an internationale Abkommen hält. Jede E-Mail, jede Unterschrift hilft.
3. Mindestens einmal auf eine Demonstration/Kundgebung gehen. In ganz Deutschland finden mehrfach die Woche Proteste und Aktionen statt; sowohl auf der Straße als auch im Rahmen von Literatur- und Kulturveranstaltungen. Man spürt die Energie der Revolution, man spürt den Zusammenhalt. Es ist nicht nur wirksam, wie wir es beispielsweise bei der Demonstration im Oktober in Berlin gesehen haben, es ist auch bewegend und inspirierend. Wir können dies tun, ohne zu fürchten gefoltert und umgebracht zu werden. Wenn wir dieses Privileg nicht nutzen, haben wir auf so vielen Ebenen verloren. „Woman, Life, Freedom“ ist ein weltweiter Kampf für Gleichberechtigung, Freiheit, Menschenrechte. Das gilt für den Iran genauso wie beispielsweise für die vergessenen Frauen Afghanistans und überall sonst, wo für diese Grundwerte gekämpft wird. Wenn diese Revolution erfolgreich ist, dient sie als Leuchtfeuer. Auch deshalb darf das Interesse nicht nachlassen.
Der persische Dichter Saadi schrieb im 13. Jahrhundert ein Gedicht, das das Gebäude der Vereinten Nationen in New York schmückt. Diese Worte möchte ich mitgeben und danken für die Aufmerksamkeit, die so wichtig ist
„Human beings are members of a whole, in creation of one essence and soul
If one member is afflicted with pain, other members uneasy will remain
If you have no sympathy for human pain, the name of human you cannot retain.“
Danke Dir Pari, an dieser Stelle, für Dein Engagement und das von allen, die von hier aus die Iranische Revolution unterstützen.
*Quellen:
https://www.state.gov/reports/country-reports-on-terrorism-2020/iran/
https://institute.global/policy/making-case-uk-proscribe-irans-irgc
https://www.lawfareblog.com/eu-can-and-should-designate-irgc-terrorist-group
https://taz.de/Internes-Lagebild-des-Auswaertiges-Amts/!5905227/
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-09/mykonos-anschlag-berlin-iran-
kurden?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F