Ein Rückblick auf die ThinkTank30 Tagung 2022 zu „One Health“: Wie hängen menschliche Gesundheit und gesunde Ökosysteme zusammen? Wie beeinflussen Menschen die Kreisläufe des Planeten?
Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Mitglieder des ThinkTank30 – der junge Think Tank des Club of Rome Deutschland bei ihrer Herbsttagung vom 14. bis 16. Oktober 2022. Der Dialog mit Expert*innen aus Gesundheitswesen, Wissenschaft, Klimaforschung und Kommunikation machte deutlich: Wer den Zusammenhang zwischen persönlicher Gesundheit und der Gesundheit von Böden, Pflanzen und Tieren erkennt, kann sich selbst besser als Teil des Ganzen verstehen und entsprechend das eigene Handeln ändern.
Seuchen treiben die Evolution
Warum hat das Zebra Streifen? Eine Führung durchs Naturkundemuseum Berlin zeigte: Der Löwe ist nicht schuld. Lange ging man davon aus, das Muster der Zebras würde sie besser im Gras vor Raubtieren tarnen. Doch der Löwe findet seine Beute trotzdem. Der wahre Grund ist die winzig kleine Tse-Tse-Fliege: Sie überträgt ein für Wildpferde gefährliches Virus, das die Nagana-Krankheit auslöst. Doch die Komplexaugen der nachtaktiven Insekten erkennen die gestreiften Zebras in der Dunkelheit schlechter als Pferde, Schweine oder Rinder. Die Zebra-Streifen dienen also als Tarnung: Nicht vor Raubtieren, sondern vor Krankheitsüberträgern. So treiben Viren und Seuchen die Evolution voran. Der Besuch im Museum des interdisziplinären Forschungsinstituts der Leibniz-Gemeinschaft war ein beeindruckender Start in die TT30-Tagung zu planetarer Gesundheit.
Prävention wird zu wenig belohnt
One Health bildet die Schnittmenge zwischen der Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt. Es ist „ein Konzept für die Gestaltung und Umsetzung von Programmen, Strategien, Rechtsvorschriften und Forschung, bei dem mehrere Sektoren miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten, um bessere Ergebnisse im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu erzielen.“ (Weltgesundheitsorganisation WHO)
Im Gespräch mit Kim Grützmacher und Catherine Machalaba wurde deutlich, dass der One Health Ansatz offen für alle ist, nicht nur für Mediziner. Kim Grützmacher ist Seniorberaterin für One Health, Biodiversität und Gesundheit bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Zusammen mit Catherine Machalaba, leitende Wissenschaftlerin für Gesundheit und Politik bei der EcoHealth Alliance, zeigte sie auf, wie wichtig die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche, Organisationen, aber auch der Ministerien ist. Der gerade veröffentlichte „One Health Joint Plan of Action“ stammt aus der gemeinsamen Feder von vier großen Institutionen: Welternährungsorganisation (FAO), Weltgesundheitsorganisation (WHO), Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH, gegründet als OIE).
Gesundheit ist ein persönliches, direktes Thema, das für jeden Einzelnen schnell existenziell werden kann. Hierin liegt ein großes Aktivierungspotenzial, um Menschen für nachhaltiges Handeln zu begeistern. Gleichzeitig ist Gesundheitsprävention ein Stiefkind der Politik, denn sie muss langfristig angelegt sein. Das beste Ergebnis z.B. präventiver Pandemiepolitik ist, wenn nichts passiert. Doch ein solches „Nichts“ lässt sich schlecht als politischer Erfolg verkaufen. Um dennoch Mittel für das Thema One Health zu aktivieren, müssten die Kosten des Nichthandelns sichtbar werden. Zu diesen „Cost of Inaction“ gestaltete Catherine Machalaba ein Panel beim Weltgesundheitsgipfel mit, der parallel an diesem Wochenende in Berlin stattfand.
Wie kolonial ist das internationale Gesundheitswesen?
Die Entwicklung des globalen Handels förderte auch die Verbreitung von Krankheitsüberträgern und Seuchen. Die „Tropenmedizin“ ist ebenso kolonial geprägt, wie der Handel, sagte Remco van de Pas in seinem Vortrag. Der Arzt, Experte für öffentliches Gesundheitswesen und Wissenschaftler auf dem Gebiet der globalen Gesundheit arbeitet am Centre for Planetary Health Policy in Berlin. Von Anfang an wurden nicht nur landwirtschaftliche Produkte, sondern auch Krankheiten ausgetauscht: Syphilis kam aus Amerika nach Europa, Tuberkulose aus Europa nach Afrika. Solche Ausbrüche hatten negative Folgen für die Produktivität. Um die Herstellung kolonialer Produkte wie Tee und Zucker am Laufen zu halten, führte man ab 1850 Maßnahmen zur internationalen Gesundheitspolitik ein – oft mit einem Duktus des Erlösertums und der gnädigen Hilfe.
Bis heute sind Forschung und Maßnahmen zu Krankheiten und deren Überträgern wie Ebola oder Vogelgrippe von Wissenschaftler*innen aus dem globalen Norden geprägt. Die global beschlossenen Maßnahmen betreffen aber alle, und insbesondere ärmere Menschen im globalen Süden – das stellt ein erhebliches Gerechtigkeitsproblem dar. So wird z.B. Covid-19 in Uganda eher als „VIP Krankheit aus dem Norden“ wahrgenommen – das Immunsystem vieler Menschen in Afrika ist stärker trainiert und die persönlichen Herausforderungen liegen anderswo. Auch das internationale Pandemie-Abkommen (Pandemic treaty) ist von einer Perspektive des globalen Nordens geprägt. „Viel Gesundheitswissen ist nicht sichtbar, weil es kolonialisiert ist“, beschreibt Remco van de Pas das Machtproblem im Global Health Kontext. Damit stelle sich außerdem die Frage, wie Gesundheitspolitik (auch finanziell) international demokratisieren lässt – über nationalstaatliche Grenzen hinweg.
Wenn Lebensmittel krank machen
Weltweit sterben jedes Jahr ca. 11 Millionen Menschen frühzeitig durch schlechte oder unzureichende Ernährung – etwa die Hälfte durch Unterernährung, die andere durch Überernährung. Laut der Studie „Food in the Anthroposcene“ (Lancet, 2019) nehmen Krankheiten zu, die auf zu viel Kalorienzufuhr zurückgehen. 2,1 Milliarden Erwachsene sind übergewichtig oder fettleibig; die Häufigkeit von Diabetes hat sich in den letzten 30 Jahren fast verdoppelt. Wenn es so weitergeht, gibt es im Jahr 2050 auf der Welt 4 Milliarden übergewichtige Menschen.
Die Nahrungsmittelproduktion führt zudem zu massiven Umweltschäden, die sich auf die menschliche Gesundheit auswirken, sagte Benjamin Bordirsky in seiner Präsentation. Er ist Wissenschaftler am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und spezialisiert auf die durch Landwirtschaft entstehenden Umweltauswirkungen. In Deutschland gehen 15.000 vorzeitige Todesfälle auf die Luftverschmutzung aus der Landwirtschaft zurück. Besonders, dass der Mensch den Stickstoffumsatz des Planeten verdoppelt hat, ist ein Problem: Einerseits sorgt der daraus hergestellte Kunstdünger für ein besseres Pflanzenwachstum. Doch nur 50% des ausgebrachten Stickstoffs wird von Pflanzen tatsächlich absorbiert. Der Rest endet in der Umwelt – als Feinstaub-bildende Stickoxide und Ammoniak, wasserverschmutzendes Nitrat oder klimaschädliches Lachgas. Zu den Folgen zählt, dass sich das Ozonloch vergrößert und sich z.B. in Wassersystem unterkomplexe Arten durchsetzen.
Das Ernährungssystem ist für ein Drittel der menschengemachten Treibhausgase verantwortlich: Durch Trockenlegung der Moore, Abholzung von Wäldern sowie Müll-Entstehung. Es ginge auch anders: Die Eat Lancet Kommission hat einen Report vorgelegt, wie sich gesunde und nachhaltige Ernährung verbinden lassen: Die Planetary Health Diet setzt vor allem auf regionale, saisonale, überwiegend pflanzliche Zutaten. Fleischersatzprodukte werden sich durchsetzen, weil ihre Produktion günstiger und effizienter ist. Spannend wird in Zukunft auch, wie die Zubereitung des Essens künftig organisiert ist: Bordirsky war zur TT30 Tagung aus Taiwan zugeschaltet, wo der Trend zu „keine Küche mehr im Haus“ geht, weil die Menschen dreimal täglich auswärts essen. Angesichts solcher Entwicklungen lässt sich fragen: Wie sähe eine nachhaltige, gesunde Gemeinschaftsverpflegung aus?
Warum multiresistente Keime so gefährlich sind
Jährlich sterben 1,2 Millionen Menschen durch multiresistente Bakterien. Für 2050 werden 10 Millionen Todesfälle prognostiziert. Diese Zusammenhänge zeigte Neyaz Khan auf. Er forscht am Bernard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) zu Bakteriologie. Multiresistente Keime lassen sich nicht mehr mit Antibiotika bekämpfen. Weil diese Medikamente oft unreflektiert verschrieben und gekauft werden sowie in der Massentierhaltung massiv zum Einsatz kommen, werden die Bakterien regelrecht „trainiert“.
Neyaz Khan widmet sich auch zoonotischen (von Tieren übertragenen) Krankheiten. 60% aller bekannten Krankheiten kommen von Tieren – in den letzten 30 Jahren, sogar 70%. Dazu zählen Viren wie SARS-CoV, Zika und Hantavirus, aber auch Bakterien wie Salmonellen, das Tuberkulose auslösende Mycobacterium tuberculosis und weitere. Durch direkten Kontakt mit den Tieren oder kontaminiertes Fleisch können sich diese Mikroorganismen auf Menschen übertragen und Krankheiten auslösen. Die Zerstörung natürlicher Lebensräume hat diese Entwicklungen wahrscheinlicher gemacht. So geht die Forschung davon aus, dass das Corona-Virus COVID-19 von Fledermäusen übertragen wurde.
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz
Gesundheitsschutz und Klimaschutz lassen sich gut verbinden und zusammen kommunizieren. Die Entscheidungsforscherin Mirjam Jenny beschäftigt sich an der Universität Erfurt intensiv mit Wissenschaftskommunikation. Sowohl bei Gesundheit als auch Klima ist das Ziel, Wissen zu erhöhen und dadurch Einstellungen und Verhalten zu ändern. Eine Falle dabei: Die Verantwortung für Klima- und Gesundheitsschutz auf das Individuum abzuwälzen, statt sie als Systemaufgabe zu verstehen. Zuckerarme Diätpläne statt zuckerarme Supermärkte sind ein Beispiel dafür. Auch sei der Einfluss des persönlichen CO2-Fußabdrucks im Markt laut Mirjam Jenny eher klein, im Vergleich zur Geschäftsaktivität von Marktakteuren wie BP.
Systemveränderungen brauchen aber gesellschaftliche Unterstützung – die Gelbwesten-Proteste in Frankreich haben dies deutlich gezeigt. Um hier Akzeptanz zu fördern, müsse man wissenschaftliche Kommunikation und politische Kommunikation entflechten. Während wissenschaftliche Kommunikation Fakten über Zusammenhänge liefert und erklärt, sollte die politische Kommunikation Strategien und Ziele von Entscheidungsträger*innen erklären. Auch „Mut zur Lücke“ erhöht die Glaubwürdigkeit: Expert*innen haben oft Angst zuzugeben, dass sie etwas nicht wissen. Aber wenn sie das tun, erhöht dies das Vertrauen, zeigen Studien. Wissenschaftskommunikation ist eine Wissenschaft für sich…
Neue Narrative für eine positive Klimakommunikation
Wie lassen sich Menschen für Klima- und Gesundheitsschutz gewinnen? Dazu gaben Eckart von Hirschhausen und Kerstin Blume Einblicke in die erfolgreiche Arbeit ihrer Stiftung „Gesunde Erde, Gesunde Menschen“. Mit Agenda-Setting, Medien-, Kampagnen- und politischer Arbeit erreicht die 2020 gegründete Organisation Millionen Menschen und bezieht politische Entscheidungsträger*innen, wie Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet ein. Ihre Botschaft: Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.
Wie man Menschen für das Thema One Health gewinnt:
Von den zahlreichen Ideen, die Eckart von Hirschhausen und Kerstin Blume gaben, seien hier drei genannt:
Narrative umkehren.
Ja, Klimaschutz heißt Verzicht: Wir verzichten auf schmutzige Luft und einen Haufen Tote! Wir können es schöner haben und gesünder. Ja, Fleischverzicht ist echter Verzicht. Verzicht auf Herzinfarkt und Schlaganfall. Darauf verzichte ich gerne.Metaphern und Vergleiche.
Wenn die Klimakrise das Fieber der Erde ist, ist das Artensterben ihre Demenz. Demenz bedeutet krankhaftes Vergessen. In jeder Art gibt es Wissen und Weisheit des Lebens. John Schellnhuber sagt: Wir verbrennen das Buch des Lebens, bevor wir es gelesen haben. Das Web of Life kann man sich vorstellen, wie ein Kletternetz auf dem Spielplatz: Mit jedem Knoten, den man rausnimmt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind runterfällt.Kipppunkte anschaulich machen.
Die Klimakrise ist deshalb so gefährlich, weil Kipppunkte überschritten werden. Sie sind irreversibel. Was heißt das? Nehmen wir ein Fieberthermometer. Jedes Fieberthermometer der Welt endet bei 42°. Warum? Wenn ein Ei gekocht wird, bleibt es hart. Für immer. Es ist irreversibel in seiner Struktur geschädigt. Aus einem gekochten Ei wird kein Küken mehr. Es besteht aus Wasser, Eiweiß und Fett – wie unser Gehirn. Der Klimawandel bedroht unsere Gesundheit direkt.Hirschhausen lud dazu ein, andere anzustecken. Am Ende eines Vortrags oder Texts könne immer die Aufforderung stehen: Erzählt das bitte weiter! Verbunden mit der Frage: Wer ist der mächtigste Mensch in Deinem Umfeld?
Über den ThinkTank30
Der ThinkTank30 des Club of Rome Deutschland stärkt seine Mitglieder darin, nachhaltiges Denken und Handeln in ihr jeweiliges Arbeits- und Lebensumfeld zu tragen. Dafür treffen sich die 30 Mitglieder (alle „um die 30 Jahre alt“) regelmäßig zu selbstorganisierten Seminaren mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen. „Die Tagungen sind für uns identitätsprägend und tragen uns in diesem Netzwerk“, sagt TT30-Mitglied Laura Haverkamp. Unsere Rolle als Brückenbauer zwischen verschiedenen Disziplinen und Sektoren wird damit gestärkt. So können wir „als springende Elemente in komplexen Systemen“ einen gesellschaftlichen Wandel für zukunftsfähige Entwicklungen mitgestalten.
Text: Tina Teucher
Bilder: ThinkTank30